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Führung in Zeiten digitaler Transformation: Interview mit Frau Prof. Dr. Katrin Winkler

Leadership

Dr. Katrin Winkler, Copyright Andreas Fechner
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10 Minuten

Die digitale Transformation stellt Unternehmen vor zahlreiche Herausforderungen. Die IBA Forum Redaktion sprach mit Frau Prof. Dr. Katrin Winkler, Leiterin der Kempten Business School an der Hochschule Kempten, über Führung, modernes Wissensmanagement und mögliche Ansätze zur Gestaltung zukunftsfähiger Arbeitswelten.

Frau Dr. Winkler, welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie für Führungskräfte in Unternehmen in Zeiten der digitalen Transformation?

Angesichts der zunehmenden Anzahl von Krankheitstagen und Burn-out-Fällen hat das Thema Gesundheit und Selbstfürsorge in der heutigen schnelllebigen Arbeitswelt höchste Priorität gewonnen. Dies betrifft sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende. In der modernen Arbeitsumgebung sind beide Gruppen einer Reihe von Herausforderungen ausgesetzt. Sie müssen stets flexibel bleiben und sich an kontinuierlich verändernde Bedingungen anpassen. Der zusätzliche Druck, immer erreichbar zu sein, stellt zudem weitere Anforderungen an das Selbstmanagement aller Beteiligten. Als Führungskraft in Zeiten hybriden Arbeitens ist es unerlässlich, die eigenen Fähigkeiten kritisch zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Dazu gehört nicht nur eine hohe Ambiguitätstoleranz, sondern auch die Fähigkeit, das Team integrativ zu führen. Das ist besonders wichtig, um trotz virtueller Arbeitsstrukturen ein Gefühl der Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit zu fördern. Die steigenden Anforderungen machen kontinuierliches Lernen und die ständige Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten unumgänglich. Jeder Einzelne ist dabei gefordert, aktiv die Gestaltung seiner eigenen Lernreise zu übernehmen.

Wie gestaltet sich das Wissensmanagement in Unternehmen in Zeiten sich verändernder Arbeitsstrukturen, insbesondere im Hinblick auf hybride Arbeitsmodelle?

Ein wesentlicher Aspekt im Umgang mit Wissensmanagement in der heutigen VUCA-Welt liegt in dem Bewusstsein, dass der Wissenstransfer kein Selbstzweck ist. Vielmehr dienen der Aufbau und Austausch von Wissen dazu, in einem volatilen Umfeld schnelle Entscheidungen und kurze Reaktionszeiten zu gewährleisten, damit Personen, Teams und Organisationen handlungsfähig bleiben. Angesichts dieser Dynamik ist das Wissensmanagement für mich heute wichtiger denn je. Dabei ist es entscheidend, es im Kontext des demografischen Wandels zu betrachten und eng mit dem Generationenmanagement zu verknüpfen. Das bedeutet, jüngere und ältere Mitarbeitende gezielt zusammenzubringen, damit sie sich gegenseitig befruchten und verhindert wird, dass wertvolles Erfahrungswissen mit dem Ausscheiden älterer Mitarbeitender verloren geht. North und Maier haben zwei wesentliche Funktionen des Wissensmanagements identifiziert: das operative Wissensmanagement als Stabilisator und das strategische Wissensmanagement als Dynamisierer. Der strategische Aspekt umfasst die Verantwortung, in der schnellen Veränderung und Komplexität des heutigen Unternehmensumfelds durch kritische Reflexion des Wissens und der Kompetenzen einer Organisation sowie der Identifikation von blinden Flecken für die Handlungsfähigkeit in einer unsicheren Zukunft zu sorgen. Das operative Wissensmanagement zielt darauf ab, Unterstützung durch die Bereitstellung des richtigen Wissens zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu leisten und fördert eine schnelle Reaktionsfähigkeit und Problemlösung im operativen Geschäft, was für die Entwicklung des zukünftig benötigten Wissens entscheidend ist.

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Welche Lehr- und Lernansätze bzw. ‑methoden sind für die Erwachsenenbildung besonders geeignet, um Beschäftigte auf die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt vorzubereiten?

Um Beschäftigte effektiv auf die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt vorzubereiten, ist es notwendig, von traditionellen Lehrmethoden wie kurzfristigen Seminaren abzurücken und innovative Lernansätze zu verfolgen. Ein solcher Ansatz ist die Gestaltung von Lernreisen, die ein hohes Maß an Eigeninitiative erfordern und Lernende dazu anregen, in ihre eigene Entwicklung zu investieren. Statt „One size fits all“-Seminaren sollten individuell zugeschnittene Entwicklungsangebote bereitgestellt werden, die verstärkt virtuelle Elemente, Coachings und Reflexionsmöglichkeiten umfassen. Zusätzlich bietet das Social Media Learning bedeutende Vorteile. Plattformen wie LinkedIn ermöglichen den Wissensaustausch und die aktive Teilnahme an Lerngemeinschaften sowie die Möglichkeit zum Diskurs. Diese Ansätze fördern die Vernetzung und den Austausch unter den Lernenden und passen sich dynamisch an die Bedürfnisse der digitalen Arbeitswelt an. Allerdings ist in Deutschland die digitale Lernresilienz noch nicht stark ausgeprägt und es besteht oft Widerstand gegen neue Lernformen. Schulen und Hochschulen halten vielfach noch an sehr traditionellen Lehrkonzepten fest. Zwar hat die Pandemie kurzfristig innovative Lernansätze gefördert, doch nach ihrem Ende kehrte man größtenteils in die Hörsäle zurück. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, ist es entscheidend, dass Bildungseinrichtungen und Unternehmen kontinuierlich innovative und flexible Lernmodelle fördern und implementieren, die den sich schnell verändernden Anforderungen der digitalen Welt gerecht werden.

Welche Rolle spielen Netzwerke und kooperatives Lernen bei der Förderung von Wissenstransfer und kontinuierlichem Lernen in Organisationen?

Der Austausch mit anderen bietet die Möglichkeit, vielfältige und neue Perspektiven sowie Impulse zu entdecken, die zur Erreichung individueller Lernziele beitragen. Durch diesen Dialog können Lösungsansätze entstehen, die man aus der eigenen Perspektive möglicherweise noch nicht in Betracht gezogen hat. Besonders wertvoll ist dabei die gegenseitige Befruchtung und Bereicherung, die aus den unterschiedlichen Erfahrungen und dem Wissen der Beteiligten entsteht. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Motivation, die durch das Wissen um Begleitung und Unterstützung in gemeinsamen Lernprozessen entsteht. Dies gibt Ansporn, insbesondere wenn man auf Schwierigkeiten stößt und vorübergehend nicht weiterkommt. Zudem bietet das Lernen in einer Gruppe die Chance, Freude und Erfolge gemeinsam zu teilen und gegenseitige Anerkennung zu erfahren. Netzwerke spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Wissenstransfers. Insbesondere interne Netzwerke zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitenden sowie der kontinuierliche Dialog zwischen Mitarbeitenden verschiedener Fachbereiche und Abteilungen eines Unternehmens sind hierbei von großer Bedeutung. Diese Netzwerke, ob intern oder extern, bieten wertvolle Gelegenheiten, neue Kontakte für den Wissensaustausch zu knüpfen und gezielt nach Inspiration jenseits der eigenen Denkmuster zu suchen.  Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass die Bedeutung des Netzwerkens vielen Mitarbeitenden in Unternehmen noch nicht bewusst ist, geschweige denn die entsprechenden Netzwerkkompetenzen entwickelt wurden. Dies zeigt, dass es noch viel Aufklärungsarbeit und Förderung in diesem Bereich bedarf, um die Vorteile und die Notwendigkeit des Netzwerkens im beruflichen Kontext stärker zu verankern.

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Wie können Führungskräfte Wissensmanagement effektiv unterstützen, um Innovation und kontinuierliches  Lernen im Unternehmen zu ermöglichen?

Ein erster wichtiger Aspekt besteht darin, als Vorbild für die Mitarbeitenden zu wirken, selbst offen sein Wissen zu teilen und das eigene Wissen zu reflektieren. Um die Bereitschaft zum Wissensaustausch zu fördern, ist es entscheidend, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder ermutigt fühlt, eigenes Wissen zu teilen und von anderen Teammitgliedern zu lernen. Führungskräfte spielen eine zentrale Rolle bei der effektiven Unterstützung und Förderung des Wissensmanagements, indem sie zu agilem Lernen und zur Reflexion ermutigen. Ein wesentliches Instrument hierbei ist die Schaffung von Rahmenbedingungen, die das Lernen fördern. Führungskräfte müssen dabei den Informationsfluss im Team überblicken und aktiv steuern. Das ist besonders wichtig bei der Führung hybrider Teams, bei denen sich die Möglichkeit zur Face-to-Face-Kommunikation oft nur auf einen Teil des Teams beschränkt, was zu Ungleichheiten in der Informationsverteilung führen kann. Daher sind die Einbindung und individuelle Führung jedes einzelnen Teammitglieds von wesentlicher Bedeutung, helfen sie doch – trotz unterschiedlicher Erfahrungen im Team – die für alle gleiche Verfügbarkeit von Informationen sicherzustellen und ein klares Bild über den individuellen Informationsstand jedes Teammitglieds zu gewinnen.

Welche Rolle spielen digitale Tools und Plattformen im Wissensmanagement und wie können sie optimal in Führungsstrategien integriert werden?

Eine zentrale, da sie nicht nur wertvolle Möglichkeiten zur Wissensdokumentation und Pflege des vorhandenen Wissens im Unternehmen bieten, sondern es den Mitarbeitenden auch ermöglichen, Wissen gezielt zum Zeitpunkt des Bedarfs abzurufen. Zudem eröffnen digitale Tools und Plattformen vielfältige neue Möglichkeiten für den Austausch von Wissen, unabhängig von Raum und Zeit. So können sich Mitarbeitende bei auftretenden Problemen gezielt mit anderen Experten vernetzen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Die Möglichkeiten zur gemeinsamen Arbeit an Dokumenten bergen zudem das Potenzial, dass neues Wissen entstehen kann, da Beteiligte neue Impulse erhalten können, die sie auf eigene Ideen bringen. In der heutigen Zeit, die von Vielfalt und einer Überflutung an Informationen geprägt ist, ist es besonders wichtig, dass digitale Tools und Plattformen den Mitarbeitenden den Zugang zu für sie relevantem Wissen erleichtern. Dies unterstützt nicht nur die individuelle Kompetenzentwicklung, sondern optimiert auch die Effizienz und Effektivität der gesamten Organisation.

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Wie sehen Sie die Entwicklung von Führungskompetenzen in den nächsten Jahren vor dem Hintergrund der fortschreitenden digitalen Transformation und der steigenden Anforderungen an Agilität?

In einer Zeit stetiger Veränderungen wird die kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen im Rahmen eines lebenslangen Lernens zu einer wesentlichen Voraussetzung für Führungskräfte. Neben fachlichen Kompetenzen gewinnen sogenannte Future Skills zunehmend an Bedeutung, die Führungskräften helfen, die erforderlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Zu diesen Future Skills gehören unter anderem Reflexionsvermögen, Ambiguitätstoleranz, Problemlösefähigkeit sowie digitale und Lernkompetenz. Eine zentrale übergeordnete Fähigkeit stellt dabei die Kommunikationskompetenz dar. Die persönliche Weiterentwicklung und der Aufbau neuer Kompetenzen basieren auf der entscheidenden Haltung eines Growth Mindsets. Dieses Mindset zeichnet sich durch die Überzeugung aus, dass Intelligenz und andere Persönlichkeitsmerkmale durch Lernen, Anstrengung und Training entwickelt werden können. Führungskräfte nehmen eine aktive Rolle als Initiatoren ihrer eigenen Lernreise ein und fördern selbstständiges Lernen, was als eine wesentliche Voraussetzung für den nachhaltigen Lernerfolg gilt. Ein weiterer grundlegender Aspekt der zukünftigen Kompetenzen von Führungskräften wird die Gestaltung der Interaktion zwischen Mensch und Maschine sein. Dies erfordert nicht nur technisches Verständnis, sondern auch die Fähigkeit, Technologie sinnvoll in die Arbeitsprozesse zu integrieren und so die Effektivität und Effizienz im Unternehmenskontext zu steigern.

Welche Potenziale sehen Sie in der Verbindung von Leadership, digitaler Transformation und neuen Lehr-Lern-Ansätzen für die Gestaltung zukunftsfähiger Arbeitswelten und ‑kulturen?

Eine Führungskraft, die über ausgeprägte digitale Kompetenzen verfügt, kann die Möglichkeiten der Digitalisierung gezielt zur Vernetzung, zum gegenseitigen Austausch und zur Gestaltung eines förderlichen Umfelds für selbstständige Lernprozesse nutzen. Durch den bewussten Einsatz digitaler Tools kann sie einen unterstützenden und sicheren Rahmen für das individuelle und bedarfsgerechte Lernen der Mitarbeitenden schaffen. In dieser Rolle begleitet die Führungskraft Lernprozesse, wobei die Mitarbeitenden für ihre eigene Entwicklung verantwortlich sind. Die bewusste Auseinandersetzung mit der Digitalisierung ist daher unerlässlich für eine erfolgreiche Führung in der Zukunft. Sie ermöglicht nicht nur die gezielte Nutzung der digitalen Potenziale, sondern auch eine flexible Anpassung an die rasanten Veränderungen, was wiederum einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit leistet. In der Diskussion um künstliche Intelligenz wird vernetztes Denken im Zusammenhang mit Führung als ein entscheidender und unverzichtbarer Schlüssel für eine effiziente Gestaltung der Interaktion zwischen Mensch und Maschine betrachtet. Dies ist besonders relevant, um in einer Zeit stetiger Veränderung erfolgreich navigieren zu können.

Frau Dr. Winkler, vielen Dank für das Gespräch.

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Frau Dr. Katrin Winkler ist C‑Level Leadership Coach, Aufsichtsrätin, Professorin für Personalmanagement, Personalentwicklung und Wissensmanagement an der Hochschule Kempten und Geschäftsführerin der Kempten Business School. Als Leiterin des Instituts für digitale Transformation in Arbeit, Bildung und Gesellschaft begleitet sie Unternehmen in Projekten der digitalen Transformation oder der Neuausrichtung der Personalentwicklung auf neue und innovative Methoden. Als Geschäftsführerin der Kempten Business School setzt sie sich für den Wissenstransfer von der Hochschule in die Praxis ein. Katrin Winkler ist Autorin des Buches Mentale Teamgesundheit und Co-Autorin des Buches Hybrides Arbeiten mit Prof. Dr. Johanna Bath. Weitere Informationen finden Sie unter: linkedin.com/in/drkatrinwinkler.


Titelbild: Andreas Fechner